Vom Winkelmaß

Vom Winkelmaß

Art in Brief: Die Unterlage, die Basis Deiner Arbeiten, ist meistens echt eigenartig – Du suchst Dir alte Bretter, bekritzeltes Transparentpapier aus. Woher diese Vorlieben?

Jola Wagner: Als Unterlage zu meinen Bildern und Zeichnungen benutze ich altes Zeichenpapier, gefunden auf Müllhalden in Łódź, auf dem Projekte von örtlichen Architekten und Stadtplanern von vor vielen Jahren gezeichnet sind, oder alte Zeichenbretter, an die sie dieses Papier hefteten. Die Bretter haben Tausende Löcher von Reißzwecken und Flecken von der Tusche. Gerne verwende ich bereits benutzte Materialien, denn ich denke, es gibt schon zu viele Sachen um uns, ständig werden neue produziert und alte einfach weggeworfen. Besser wäre es, die bereits hergestellten einzusetzen, ihr Leben zu verlängern und dann dem natürlichen Verfall zu überlassen. Meiner Meinung nach wäre es eine Vermessenheit, Objekte zu schaffen, die Generationen lang fortbestehen sollen. Die Werke der Antike und der Neuzeit haben überdauert, es gibt viele davon und mehr braucht man nicht. Vielleicht empfängt man die Kunst sogar intensiver, wenn man weiß, dass sie nur von kurzer Dauer ist.

AiB: Du machst Deine Arbeiten gern „auf alt“ – durch Wachsen, Verschmutzen. Ist Neues langweilig, ohne Geheimnis?

JW: Ich mache sie nicht „auf alt“, es ist lediglich so, das ich sie nicht renoviere, lasse sie, wie sie sind. Wachs fixiert und schützt vor Beschädigung (nicht immer, manchmal klebt trotzdem Schmutz dran). Ich verwende Wachs auch, um collageartige Zeichnungen zusammenzufügen und ihnen eine passende Oberfläche zu verleihen: manchmal glatt, manchmal mit Pinselstrichen oder Spachtelkratzern.
Ich verschmutze meine Arbeiten nicht, aber wenn eine meiner Katzen darüber läuft und Pfotenspuren hinterlässt, dann akzeptiere ich es.
Die Arbeiten auf dem Papier werden schmutzig, weil ich sie nicht hinter Glas verschließe. Ich tue es nicht, denn ich möchte diesen Arbeits- und technischen Charakter aufbewahren. Darüber hinaus ist ihr Format groß, also werden sie zusammengelegt wie Landkarten aufbewahrt, in einer Schublade, und dann auf der Ausstellung an die Wand genagelt.
Ich bin weit davon entfernt, die Dinge in alt und neu zu teilen, sondern akzeptiere das, was mir die Umgebung anbietet. Was wesentlich ist, das soll man nicht umsonst wegschmeißen, nicht einfach loswerden, sondern den Sachen die Chance für eine neue Existenz geben.
Das ist wohl mein Lebensmotto. Es bezieht sich auch auf meine Katzen: sie wurden neben einer Mülltonne adoptiert, haben bei mir ein neues, gar nicht schlechtes Leben gefunden.
Die Materialien, die ich verwende, ist mein privates Recycling. Aber natürlich macht es mir einigen Spaß, wenn ich einen schönen Plan für Ausbau von Łódź von vor vielen Jahren (utopisch, denn nie realisiert, vielleicht ist es auch besser so) verwende. Mit Freude benutze ich die nicht mehr gebrauchten Zeichenaccessoires, wie Redisfedern, Kurvenlineale, Zirkel.

AiB: Deine Arbeiten sind was für Kenner. Man muss ein Gespür für die Schönheit der Zeichnung, der Buchstaben, der eingeschränkten Koloristik haben. Du zeigst, das klassische Farben des Papiers, durch das Du zeichnest, auch reich sind. Schwarz, Violett, Dunkelblau – ist das für Dich genug?

JW: Das sind nette Worte, es bedeutet, das ich nicht versuche, sich beim Publikum anzubiedern. Gewiss vermeide ich die vordergründige Schönheit, aber andererseits strenge ich mich auch nicht an, meine Arbeiten hässlich zu machen. Ich meine, dass der Begriff Ästhetik im Design zwar begründet ist, aber ansonsten nicht unbedingt. Ich möchte, dass meine Arbeiten a-ästhetisch sind. Wie eine Bedienungsanleitung in Bildern, eine Landkarte, eine technische Zeichnung von einer Maschine, ein Stadtplan oder ein architektonisches Projekt. Das ist nur der Schlüssel, um unsere Phantasie anzuregen. Das Bild selbst müssen wir uns dann alleine zusammenbauen. Toll, dass sich solche Zuschauer finden, denen der bescheidene Anreiz ausreicht.
Darüber hinaus stecke ich drin schon so lange, ich sehe viel, jeden Tag werde ich geradezu überhäuft mit Reichtum von Formen, Farben und technischer Perfektion, also Schluss damit! Das Bescheidene und Lapidare erlaubt mir, mich auf das Wesen der Dinge zu konzentrieren (wie in einer technischen Zeichnung). Natürlich verlange ich nicht, das alle meine Einstellung teilen, aber ich freue mich, das manche ähnlich denken.

AIB: Hast Du am Stadtplan von Frankfurt lange gearbeitet?

Nach meinem Gefühl war es schrecklich lange. Am Anfang war die Arbeit am Konzept und die Forschung, ich studierte den Stadtplan und die charakteristischsten Orte. Sehr geholfen hat mir Frau Bielicka, die mir schöne Alben mit Bildern von Frankfurt und mit ihren markierten Lieblingsecken zuschickte, wofür ich ihr auch sehr dankbar bin. Das dauerte lange auch deshalb, weil ich etwas unsystematisch arbeite – in Schüben. Der Begriff Eingebung ist total out, aber wie soll man das nennen, dass ich manchmal riesige Lust habe zu zeichnen und alles wie am Schnürchen läuft und ein anderes Mal davor weglaufe und wenn ich mich erst zwinge, gar nichts Gutes herauskommt? Am besten arbeite ich, wenn ich diese Etappe hinter mir habe, aber dann ist schon der Schluss…
Und übrigens erfordert die Arbeit an einem großen Format ohnehin viel Zeit und technische Fertigkeiten.


AiB: Du malst und zeichnest subjektive Stadtpläne, naheliegende Orte, erfüllt mit konkreten Gebäuden und Straßennetzen. Gehören diese Karten zu Deinem großen Inventarisierungssystem?

JW: Alles, was ich mache, ist eine große Inventur, in die ich Städte, Häuser, Gegenstände eintrage. Die architektonischen Zeichnungen sind ein Teil dieses Zyklus. Ich sehe die Architektur nicht nur im Aspekt der künstlerischen Form. Sie ist auch ein fester Bestandteil von Problemen, die uns jetzt, in Verbindung mit Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Religion, zu schaffen machen. Die Architektur schützt uns durch ihre Langlebigkeit davor, die früheren Zeiten zu vergessen: sowohl Stunden des Ruhms als auch der Schande. Und sie gewinnt dadurch unerwartet auch eine politische Dimension.
Oft inspiriert mich die Architektur der Stadt, in der ich lebe: Łódź. Ich denke hier sowohl an ungewöhnliche als auch an die gewöhnliche Bauten. Denn sie alle erinnern an die einzigartige Vergangenheit dieses Ortes.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert