Der Sessel und die Vipern

Der Sessel und die Vipern

In diesem Fall hat das polnische Sprichwort „Ihr lobt das Fremde, aber das Eigene kennt ihr nicht“ keine Gültigkeit. Die Ausstellungen der letzten Jahre, wie „Wir wollen modern sein“ im Nationalmuseum in Warszawa, „New Look“ im Nationalmuseum in Wrocław, Teresa Kruszewskas Möbel in der Warschauer Akademie der Schönen Künste und dazu noch Kataloge und Bücher haben die Existenz und den Wert des polnischen Designs der 50er und 60er in unser Bewusstsein gebracht.

Maurycy Gomulicki - Królikarnia
Es war eine Maßnahme gegen Elend und Tristesse der Kriegs- und Nachkriegszeit. Im Einklang mit dem weltweiten Trend herrschte Abstraktion, kräftige Farben, organische Formen. Etwas verspätet, aber immerhin, haben sich polnische Designer für eine Weile der weltweiten Strömung angeschlossen. Glücklicherweise hat der sozialistische Realismus das Design, im Vergleich etwa mit der Malerei oder Architektur, nur gering beeinflusst. Die Zensur hatte hier wenig zu sagen. Nach Stalins Tod explodierten Farben, Spontaneität: bildende Künstler (denn damals rekrutierten sich Objektdesigner vorwiegend aus dieser Gruppe) fühlten sich auf einmal frei und diese Stimmung spürt man in den Innenräumen und deren Ausstattung. Jerzy Hryniewiecki forderte in der ersten Ausgabe der Zeitschrift „Projekt“: „Die Zeit ist gekommen, nach den unerschöpflichen Reserven zu greifen, die in unserem Leben stecken. Die Zeit, den reichen Bestand des modernen technischen und künstlerischen Denkens endlich zu verflüssigen. Bei all den Anstrengungen und Aufopferung verdient unser Volk Schönheit, Reinheit, Klarheit und Farbe“. Die Tatsache war, dass die polnische Technologie damals mit der globalen Entwicklung nicht mithalten konnte, viele Produkte von schlechter Qualität waren und manche über das Prototypenstadium nicht hinausgehen konnten. Aber für einen Moment waren wir modern.


Seit einem Jahrzehnt sind sogenannte „Pikasy“ eine sich verbreitende Mode. Nierentische, Hocker mit geflochtenen Sitzen aus Igelitschnur, Teller mit bunten Flecken verließen die Mülltonne und erschienen zuerst auf Allegro, dann in Auktionshäusern. Die Preise stiegen himmelhoch. Glückspilze, die solche Perlen aus Abfallcontainern oder aus Schränken von alten Verwandten herausholten, sind uns voraus. Der Überfluss schadet jedoch und wirkt manchmal banal: in jeder zweiten Innenarchitektur-Schau steht eine Figur von Tomaszewski oder ein Sessel von damals, der Polster von heute bekommen hat. Und die Besitzer erzählen gerne über ihre Liebe zum Design. Aber schwamm drüber! Übrigens erklären auch Künstler und Designer diese Liebe. Maurycy Gomulicki sammelt Porzellan aus den 50er und 60er und rühmt sich seiner Kollektion. In der dreitägigen Ausstellung in Królikarnia hat er soeben bewiesen, wie sehr sie ihn inspirierte: er warf auf den Markt ein ganzes Knäuel von kleinen Porzellanvipern. Diese Figuren sind das Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit Porcelana „Chodzież“ S.A. (einer der ältesten Porzellanfabrik in Polen) sowie mit Porcelana Krzysztof Sp. z o.o. in Wałbrzych.


Es ist gut, dass alte Entwürfe eine zweite Chance, ein zweites Leben und in einigen Fällen die erste Gelegenheit bekommen, in die Massenproduktion zu gehen. Das geschah mit drei Sesseln von Roman Modzelewski, einem Pionier der Moderne.

Sein alter Hit, der Epoxid-Sessel mit schalenförmigem Sitz und fließenden Linien, ist bereits zu kaufen: man könnte glauben, es handelt sich um ein italienisches oder amerikanisches Möbelstück, nicht um ein Produkt der grauen Volksrepublik Polen. Übrigens hat es sogar Mitarbeiter von Le Corbusier begeistert. Modzelewski machte seine Möbel in eigenem Atelier, als Heimarbeit, lackierte sie mit der Hand usw. Der Sessel RM58 (der Name stammt von Initialen des Autors und dem Entstehungsjahr des Prototyps) wird nach über 50 Jahren industriell hergestellt, mit neuen Materialien (Polyethylen) und nach neuer Technologie (Rotationsformen). Also nicht mehr die Eames, sondern Modzelewski, nicht Vitra, sondern Wzór… Hätten nur unsere Innenarchitekten diese Ikonen des polnischen Designs nicht sinnlos überall hingebracht! Teresa Kruszewska sagte, sie hört dauernd Bitten, Cafés mit ihren Muszelka-Stühlen auszustatten, aber nach der Designerin selbst sind diese dafür gar nicht geeignet. An den Neuauflagen der alten Möbel kann man seine Freude haben, solange sie nicht vorrangig dazu dienen, in der Gesellschaft anzugeben. Und die kleinen Vipern sind echt cool.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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